Fachgespräch
Frauen in der digitalen Arbeitswelt: Wo liegen die Chancen, wo liegen die Risiken?

Führungskräfte als Schlüsselfaktor für die Gestaltung der neuen Arbeitswelt

Anja Christmann
Leiterin Personal Deutschland der Volkswagen Financial Services AG

Eine Weiterentwicklung in der Führungskultur, die systematische Rekrutierung von weiblichem Nachwuchs und eine stärkere Öffnung der MINT-Fächer für Frauen gehören nach Überzeugung von Anja Christmann zu den Dreh- und Angelpunkten für eine erfolgreiche Frauenförderung.

„Wir müssen sehr systematisch in die Zukunft schauen und hieraus Ableitungen treffen für die Auswahl und Qualifikation potentieller Führungskräfte“, betont die Personalexpertin. Zu den Herausforderungen für die Führungskräfte gehören für sie unter anderem die zunehmende Entkopplung von Arbeitszeit und –ort sowie die Notwendigkeit, die immer schneller werdenden Anforderungen des Marktes in Einklang zu bringen mit den Entwicklungen in den Unternehmen hin zu mehr Beteiligung und Empowerment. Insgesamt geht die Entwicklung aus Sicht von Anja Christmann dorthin, dass anders- vor allem mit mehr Vertrauen- geführt wird.

Mit Blick auf die Nachwuchsgewinnung verweist Christmann einerseits auf das Modell von VW Financial Services: Das Unternehmen verfolgt das Ziel, Frauen im gleichen Anteil zu rekrutieren wie Studentinnen in Deutschland Abschlüsse machen. „In dem Moment, wo ich weniger rekrutiere, rekrutiere ich statt der besseren Frauen die schlechteren Männer“, sagt Christmann. Andererseits sollten aber auch die Hochschulen bei der Gestaltung des Studiums den Blick auf den Arbeitsmarkt schärfen. Nicht zuletzt warnt die Expertin davor, die Diskussion um die Entwicklungschancen von Frauen auf Karrierefrauen zu beschränken. Denn die Digitalisierung wirkt sich zu einem großen Teil auch auf Frauen aus, die hoch automatisierbaren, verlagerungsfähigen und niedrig qualifizierten Tätigkeiten nachgehen.

Co ist Key

Margret Klein-Magar
Sprecherin der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat der SAP SE

Die Rolle und Aufgaben von Führungskräften ändern sich im Zuge der digitalen Transformation fundamental. Dies öffnet nach Überzeugung von Margret Klein-Magar neue Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen. „Führungskräfte verfügen nicht mehr über Herrschaftswissen“, erklärt die SAP-Expertin. „Co-Working und Co-Innovation über die Unternehmensgrenzen hinaus bis hinein in die Internet-Community sind die neuen Arbeitskonzepte, welche die Digitalisierung jetzt möglich macht“. Im Zuge dieser Demokratisierung bedeute Führung zunehmend mehr Beziehungsmanagement und das Denken in großen Zusammenhängen mit dem Ziel gemeinsam das Beste für das Unternehmen herauszuholen: „Diese Tendenzen helfen Frauen durchaus.“ Mit den neuen Technologien könnten zudem größere Beschäftigtengruppen und mehr ExpertInnen einbezogen und Frauen viel „visibler“ werden. Involvierte Menschen mit dem Gefühl gehört zu werden, betont Klein-Magar, stünden überzeugter hinter der Umsetzung von Unternehmens- entscheidungen. 90 Prozent der SAP-Belegschaft seien Akademiker: „Wenn die nicht mitziehen, lassen wir viel PS auf der Straße.“ Momentan, räumt die Expertin allerdings ein, spiele sich Frauenförderung vor allem in den unteren Managementebenen ab. Um dies zu ändern helfe zum einen Transparenz über die Erreichung der Ziele um Handlungsdruck in den oberen Etagen aufzubauen, zum anderen Psychologie: „Wir müssen die noch immer überwiegend männlichen Entscheidungsträger an ihren persönlichen Interessen packen, damit sie mit ins Boot steigen.“

Fachkarrieren fördern

Stefanie Kreusel
Senior Vice President Strategic Development and Support, Vertreterin der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat der T-Systems International GmbH und im Aufsichtsrat der Deutschen Telekom AG

Bei der Telekom steht das Thema „Frauenförderung“ zwar schon lange auf der Agenda. Nach Beobachtung von Stefanie Kreusel fehlt jedoch trotz zahlreicher Arbeitskreise und Projektgruppen nach wie vor eine konsequente Verstetigung des Themas: „An Frauennetzwerken hat es mit Sicherheit nicht gemangelt“, berichtet die Aufsichtsrätin. „Dies alles hat uns jedoch bis jetzt nicht in die Lage versetzt, dass wir das Thema nachhaltig umsetzen konnten“. Gestaltungsräume für die Entwicklung von Frauen bieten sich im Zuge des digitalen Wandels nach ihrer Überzeugung an verschiedenen Stellen. So sei die Förderung von Fachkarrieren ein wichtiger Anknüpfungspunkt: „Solange eine Führungskarriere wertiger ist als eine Fachkarriere befinden wir uns auf einem einsamen Weg“, findet Kreusel. Auch die Einbeziehung älterer Menschen mit ihrem Know How und ihren Erfahrungen in den Wandel und Konzepte für „späte Karrieren“ ist für sie eine wichtige Stellschraube für die Verbesserung der Entwicklungschancen weiblicher Beschäftigter, ebenso neue Vergütungsstrukturen und Auswahlverfahren. Die Digitalisierung gelte im Unternehmen als eine Option, um Frauen stärker und nachhaltiger zu involvieren. An der Flexibilität der Beschäftigten scheitert die Gestaltung der digitalen Arbeitswelt nach Kreusels Worten jedenfalls nicht. Befragungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten gezeigt, dass die Menschen im Unternehmen Veränderungen und neue Rahmenbedingungen wollten.

Erfolgreiche Netzwerkarbeit

Dr. Elvire Meier-Comte
Senior Consultant Innovation Strategy and Project Leader Digitalization Office, Siemens Corporate Technology

Frauennetzwerke wie auch Communities gewinnen bei Siemens an Aufmerksamkeit und erweisen sich nach Beobachtung von Elvire Meier-Comte als geeignete Plattformen, um das Genderthema auch auf „informellen Wegen“ voran zu treiben. „Mittlerweile ist es uns gelungen, uns auch im Management mehr Gehör zu verschaffen für die Notwendigkeit eines neuen Mind-Sets“, berichtet die Leiterin des Frauennetzwerks bei Corporate Technology. Viele Frauen seien als „Change Agents“ unterwegs und damit im Unternehmen sichtbar als Promotorinnen des Wandels. Trotz dieser positiven Bilanz hält die Expertin einen ausgewogenen Blick für notwendig: „Das Selbstvertrauen und die Positionierung von Frauen könnten noch besser werden“. Frauen müssten zudem ganzheitliche Kompetenzen aufbauen. So brauchen nach Überzeugung der Expertin Entscheidungsträger heute ein umfassendes Verständnis von Daten und deren Bedeutung als Grundlage strategischer Entscheidungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. „Wenn Unternehmen dieses Verständnis aufbauen wollen, müssen sie zusätzlich zu dem Aufbau von neuen Kompetenzen auch an der Quelle – an den Schulen und Universitäten – ansetzen“. Gesucht werden Studenten in naturwissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Bereichen, die zusammenarbeiten können, hohe soziale Kompetenzen haben und ein gutes Verständnis von Daten haben. Dies könne eine neue Chance für Frauen sein. Unerlässlich ist für sie auch, ein neues Kundenverständnis auszubauen. „Wir werden im neuen Ecosystem nicht nur mit großen Firmen zusammen arbeiten, sondern auch mit kleinen Startups, in denen Frauen und jüngere Männer arbeiten, die ganz anders sozialisiert sind.“ Führungskräfte und Vorstände sollten diese Entwicklung antizipieren.

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